„Früher war alles besser.“ – dieser Satz ist ein Klassiker in jeder Stammtischrunde und wird auch politisch gern ausgeschlachtet. Besonders rechte Parteien schwören auf das Bild der „guten alten Zeit“: die Frau zu Hause bei den Kindern, der Mann arbeitet hart, und trotzdem reicht es für Haus, Auto, Urlaub. Klingt romantisch. Aber war es wirklich so?
Ein Blick zurück ohne Nostalgie-Brille
Wenn wir das Narrativ der Vergangenheit auseinandernehmen, fällt eines schnell auf: Der Lebensstil war ein völlig anderer.
- Es gab keine Smartphones, keine Smartwatches, keine Tablets, die alle paar Jahre ersetzt wurden – und all diese Geräte brauchen heute natürlich eigene, oft teure Mobilfunkverträge, die zusätzlich Monat für Monat zu Buche schlagen.
- Niemand zahlte für mehrere Streaming-Services – Filme schaute man im Fernsehen, Musik hörte man im Radio oder auf Schallplatte.
- Ein Internetanschluss, geschweige denn High-Speed-Internet, war nicht nötig. Heute ist er Grundvoraussetzung, weil Streaming, Arbeit und Schule ohne gar nicht mehr funktionieren würden.
Kurz: Die Fixkosten waren ganz andere.
Der Preis des modernen Konsums
Unser heutiges Leben ist durchzogen von unzähligen Abos, Verträgen und Zusatzkosten, die es früher schlicht nicht gab:
- mehrere Mobilfunktarife für jedes Familienmitglied
- Streaming für Filme, Serien, Musik, Spiele und sogar für Kinderprogramme
- Geräte, die ständig geladen oder betrieben werden müssen – vom Tablet bis zum Trockner
- höhere Stromrechnungen, weil wir deutlich mehr Elektrogeräte nutzen
Dazu kommt unser gesteigerter Konsum- und Freizeitdrang. Früher reichte ein Sommerurlaub am See oder in Italien, heute sind es Fernreisen nach Dubai, Bali oder in die USA – oft finanziert durch Kreditkartenpunkte, die wiederum laufende Kosten erzeugen. Auch Restaurant- und Barbesuche sind inzwischen für viele mehrmals pro Woche selbstverständlich, wo man sich früher genau überlegte, wann und wofür man Geld ausgab.
Mobilität – vom Statussymbol zur Kostenfalle
Auch in Sachen Mobilität hat sich vieles verändert. Früher hatte ein Haushalt meist ein einziges Auto, das gemeinsam genutzt wurde. Heute besitzt fast jede:r mit Führerschein ein eigenes Fahrzeug – und das natürlich nicht irgendeines, sondern eines, das mindestens so „gut“ oder besser sein soll als das des Nachbarn. Leasing macht’s möglich – auf dem Papier zumindest. In der Realität entstehen dadurch enorme laufende Kosten: monatliche Leasingraten, Versicherung, Reparaturen, Spritpreise, und natürlich der Umstand, dass wir schlicht mehr fahren als nötig, weil das Auto eben da ist. Mobilität ist vom praktischen Fortbewegungsmittel zum teuren Statussymbol geworden – und das spüren viele, wenn am Monatsende das Konto leerer ist, als man dachte.
Die verklärte Familienidylle
Das Bild der „Hausfrau am Herd“ ist nicht nur überholt, es war auch damals nicht so rosig, wie es gern dargestellt wird. Viele Familien lebten am Limit, konnten sich nur wenig leisten und sparten jahrelang auf größere Anschaffungen. Die angeblich goldenen Zeiten waren vielmehr geprägt von einem niedrigeren Konsumniveau – nicht von einem höheren Wohlstand.
Was rechte Parteien heute als Argument gegen „die Teuerung“ missbrauchen, ist im Kern nichts anderes als ein konservatives Wunschdenken: die Rückkehr zu einem Rollenmodell, das schon lange nicht mehr existiert und mit der Realität moderner Gesellschaften nichts zu tun hat.
Fazit: Nicht früher war mehr möglich – wir konsumieren heute einfach mehr
Die Aussage „früher konnte man sich mehr leisten“ ist eine Illusion. In Wahrheit hatten Menschen weniger Ausgaben, weil es viele Dinge, die wir heute für selbstverständlich halten, schlicht nicht gab. Smartphones, Streaming, Luxusreisen, regelmäßiges Ausgehen, mehrere Autos – all das sind Posten, die unser Einkommen stärker belasten als früher.
Das heißt nicht, dass alles perfekt ist. Aber anstatt in Nostalgie zu schwelgen und alten Familienbildern hinterherzutrauern, sollten wir uns bewusst machen: Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die uns zu mehr Arbeit zwingt, weil wir immer mehr haben und erleben wollen. Das Problem ist also nicht, dass wir uns weniger leisten können – sondern, dass wir uns immer mehr leisten wollen.
Und genau deshalb ist es auch kein Zufall, dass rechte Parteien diesen Mythos so gern bedienen: Für sie ist der Unterschied zwischen Religion und politischem Islam ohnehin egal – deren Ziel dürfte es sein, jede andere Religion als das „gutbürgerliche“ Christentum zu verbannen und zu verbieten. Da passt ein verklärtes Familienbild als Köder perfekt ins Programm.
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