Beginnen wir ganz sachlich. Der Begriff „Sekte“ stammt ursprünglich vom lateinischen secta – was nichts anderes heißt als „Richtung“ oder „Schule“. Ursprünglich war es ein völlig neutraler Begriff, der einfach eine Abspaltung von einer größeren Glaubensrichtung beschrieb. Erst im Laufe der Zeit bekam „Sekte“ seinen heutigen, negativ konnotierten Beigeschmack: fanatisch, gefährlich, manipulativ, autoritär – kurz gesagt, alles, wovor einen Eltern, Medien und der Ethikunterricht warnen.
Heute wird der Begriff meist verwendet, um Gruppen zu beschreiben, die:
- sich um eine zentrale Führungsfigur gruppieren,
- starke ideologische Regeln aufstellen,
- Mitglieder geistig und sozial kontrollieren,
- Kritik unterdrücken und Aussteiger:innen ächten,
- sich gegenüber der Außenwelt abgrenzen oder Feindbilder aufbauen.
Klingt unangenehm? Klingt nach Sekte? Klar. Aber halt – schauen wir uns doch mal die größte Glaubensgemeinschaft der Welt an: die katholische Kirche.
Die katholische Kirche – ein ganz normaler Glaube?
Mit ihren rund 1,3 Milliarden Mitgliedern weltweit hat die katholische Kirche ein Image wie ein traditionsreicher, weltumspannender Konzern mit moralischem Anspruch. Sie betreibt Schulen, Krankenhäuser, karitative Einrichtungen – sie segnet, spendet Sakramente und beansprucht spirituelle Autorität. Soweit, so katholisch.
Aber unter der glänzenden Oberfläche lohnt sich ein zweiter Blick.
1. Zentralfigur und unfehlbare Führung
Jesus Christus als göttliches Vorbild. Der Papst als Stellvertreter Christi auf Erden. Eine Institution, in der das Wort des Papstes unter bestimmten Bedingungen als unfehlbar gilt. Das klingt dann doch sehr nach charismatischer Führungsfigur mit absolutem Wahrheitsanspruch. In Sekten würde man das „Guruwesen“ nennen. In der katholischen Kirche heißt es „Heiligkeit“.
2. Absolute Wahrheiten und Dogmen
Die katholische Kirche verkündet seit Jahrhunderten absolute Wahrheiten. Wer nicht glaubt, was die katholische Kirche glaubt, ist im Irrtum – oder schlimmer: lebt in Sünde. Hinterfrage die Dreifaltigkeit, das Dogma der Jungfrauengeburt oder das Fegefeuer, und du bewegst dich gefährlich nahe an der Grenze zur Häresie. Klingt vertraut? In Sekten würde man das „Indoktrination“ nennen. In der katholischen Kirche ist es „Glaubenslehre“.
3. Kontrolle über das Privatleben
Was du isst (Fastenzeiten), wann du Sex hast (oder besser: nicht), mit wem du heiratest, wie du deine Kinder erziehst – all das regelt die katholische Kirche mit moralischem Zeigefinger. Selbst Gedanken können sündhaft sein. Was in anderen Gruppen als Kontrollmechanismus gilt, ist hier religiöse Praxis.
4. Schuld und Angst als Werkzeuge
Die Hölle wartet. Für immer. Außer du beichtest regelmäßig, zahlst brav deinen Kirchenbeitrag und hältst dich an die Regeln. Das Jenseits als Belohnungssystem, das Diesseits als Prüfung – und wer sich nicht fügt, wird verstoßen. Wer aussteigt, wird nicht selten gesellschaftlich stigmatisiert oder innerlich zerrissen zurückgelassen. Sektenlogik? Nein, katholische Pädagogik seit Jahrhunderten.
5. Der Schutz der Institution – koste es, was es wolle
Egal ob Missbrauchsskandale, Machtmissbrauch oder Vertuschungen – der Schutz der Institution stand und steht oft über dem Schutz der Menschen. Das ist keine Unterstellung, das ist vielfach dokumentierte Realität. Strukturen, die systematisch Täter decken und Opfer zum Schweigen bringen, würden bei jeder anderen Gruppe sofort zu einer Zerschlagung führen. Bei Sekten sowieso. Bei der katholischen Kirche? Wird bestenfalls reformiert.
6. Der Unterschied: staatlich anerkannt
Und hier liegt der eigentliche Punkt. Die katholische Kirche genießt steuerliche Vorteile, Einfluss in Bildung, Medien und Politik – nicht nur in Österreich. Sie ist Teil der „Staatsreligion“ geworden, eingebettet in Tradition, Brauchtum und Macht. Und genau das unterscheidet sie von all den kleinen Gruppen, die wir als „Sekten“ diffamieren: die Duldung durch den Staat.
Was bei einer unbekannten Glaubensgruppe als gefährlich gilt, wird bei der katholischen Kirche als „kulturelles Erbe“ verklärt. Was bei anderen „fanatisch“ wäre, ist hier „fromm“. Was bei Sekten strafbar ist, wird bei der katholischen Kirche oft verziehen – oder mit einem stillen „Amen“ übertüncht.
Fazit: Der Heiligenschein schützt vor Kritik nicht
Wenn wir ehrlich sind: Rein strukturell, psychologisch und machtpolitisch unterscheidet sich die katholische Kirche in vielen Punkten nicht wesentlich von dem, was man gemeinhin als Sekte bezeichnet. Der einzige Unterschied? Sie war schneller, größer – und hat es geschafft, vom Staat anerkannt zu werden.
Was bleibt, ist eine unbequeme Erkenntnis: Ob Sekte oder katholische Kirche – wer Menschen durch Angst, Dogmen und Machtstrukturen an sich bindet, hat den kritischen Blick verdient. Und nicht den Heiligenschein.
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